Differenz trifft Konformität

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Kritik

Differenz trifft Konformität

Von Differenzen, Gemeinsamkeit und der Kraft des Rhythmus erzählt der Doppelabend „BoD“ & „Ballet 2.018“ von Richard Siegal/Ballet of Difference. Bloggerin Patricia Knebel hat sich die Stücke der noch recht jungen Kompanie im Musiktheater im Revier angeschaut.

Von Patricia Knebel

Ein leuchtendes Rechteck und weiße, die Seiten der Tanzfläche begrenzende Höckerchen stecken den tanzbaren, überschaubaren Raum auf der großen Bühne des Musiktheaters im Revier ab. Sieben Tänzer*innen bewegen sich innerhalb dieser geschaffenen Fläche zur einer beatlastigen, elektronischen Clubmusik. Ihre Bewegungen greifen die rhymischen Akzente der Musik auf, bilden so eine ästhetische Symbiose.

Die Tänzer*innen tragen eng anliegende, gräulich-grünliche Kostüme, welche durch einzelne, aufgeblasene Platikelemente ergänzt werden. Die besondere Form der Kostüme wird allerdings nicht gezielt eingesetzt. Warum lässt der Choreograph die Plastikelemente nicht aufblasen und zusammenfallen, um die Bewegungsstruktur zu intensivieren? Die Kostüme sind individuell, in der Gestaltung jedoch sich ähnelnd. Differenz trifft Konformität.

Kulturelles Mosaik

Die Körper des Ensembles sind alle trainiert, stark und kraftvoll, jedoch bringt jeder der Körper eine offensichtlich andere kulturelle Sozialisation mit. Rein äußerlich sehen die Ensemble-Mitglieder grundverschieden aus, da gibt die zarte, blondgelockte Französin oder die temperamentvolle, dunkelhaarige Tänzerin, der man die Flamenco-Pose gerne abnimmt. Diese „Differenzen“ setzen sich auch in der Musik fort. Den Clubssounds werden an bestimmte Musiktraditionen erinnernde Elemente hinzugefügt, es erklingen arabisch anmutende melodische Phrasen, Kastagnetten erzählen vom Flamenco, Zimbeln bringen etwas Volksmusikhaftes in die Musik. Der Titel des ersten Stückes für die gleichnamige Kompanie „Ballet of Differences“ spiegelt sich auch direkt im Tanz wieder: Ballettelemente wie der Spitzentanz, Pirouetten oder klassisch anmutende Duo-Nummer werden mit dem Rythmus der Musik synchronisiert, treffen Sekunden später auf zeitgenössischen Tanz, direkt danach auf Elemente von Dancehall, danach auf Volkstanz, auf Bollywood – ein kulturelles Mosaik entsteht.

Zwei Mal treten zwei Tänzer*innen aus dem meist als Kollektiv agierenden Ensemble, sie positionieren sich im Scheinwerferlicht am Bühnenrand, den Blick auf das Publikum gerichtet. Mit der Begrüßung „Hola!“/„Bon Soir!“ decken die beiden Tänzer*innen ihre kulturelle Identität auf, beide werden jedoch kurz darauf von einem männlichen Tänzer bestimmt aus dem Spotlight herausgeschoben. Die Individualität der Tänzer*innen gerät für einen kurzen Moment in den Fokus, an ihre Stelle tritt aber wieder das Kollektiv, welches durch die Kombination der „Differenzen“ der Tänzer*innen eine Performance schafft, die zwischen Heterogenität und Homogenität oszilliert. Das Bild des differenten „Körper-Kollektivs“ wird gegen Ende der Show aufgebrochen. Die Tänzer*innen haben sich nebeneinander in einer Reihe positioniert, sie werden durch das hell-leuchtende Rechteck nur von hinten angestrahlt, wir sehen nur Umrissen der Körper, die sonst erkennbaren Unterschiede von Hautfarbe oder anderen kulturspezifischen Merkmalen sind unsichtbar. Was bleibt ist eine Ansammlung von Tänzer*innen-Körpern, die Differenzen sind verschwunden.

Inhalt tritt hinter Rhythmus zurück

Das Stück „BoD“ wird durch das „Ballet 2.018“ ergänzt. Die kurze Umbau/Umzugs-Pause nutzt Richard Siegal für eine persöliche Ansprache zum Publikum. Die Tanzplattform finde am Ende der ersten großen Tournee seiner „brandnew Company“ statt, man fühle sich sehr geehrt, hier im Musiktheater tanzen zu dürfen. Der Choreograph wirkt modern, witzig, entspannt, so wie seine ästhetische Sprache.

Vier Tänzer*innen, in beige, lange Kleider gehüllt, beginnen das „Ballet 2.018“ mit einer Mischung aus Body-Percussion und Stepptanz. Durch den auf ihren Körper geklopften und auf den Boden gestampften Rhymthus erschaffen sie eine Musik, durchqueren gleichzeitig tanzend den Raum. Rythmus und Raum legen sich wie zwei Schichten übereinander, fusionieren und bilden den rhythmitisierten Raum. Dann kommt Siegal selbst auf die Bühne, stellt sich an den seitlich eingerichteten DJ-Tisch. Elektronische Musik erklingt. Der Bass ist so laut, dass der Klang auf der Brust vibriert, die Musik ist physisch geworden. Über den Bass legt sich ein Geräusch, das an eine in Metall schneidende Säge erinnert, dieser Sound schmerzt in den Ohren, auch er ist körperlich.

Plötzlich reißt die Musik ab, Siegal gibt mit einem Mikrophon den vier Tänzer*innen Anweisungen wie „quiet, quiet“ oder „yeah, that`s nice in the back“. Seine Kommentare scheinen keinen Einfluss auf die Dramaturgie des Stückes zu haben, seine Bühnenpräsenz wirkt deplatziert und sinnentleert. „Ballet 2.018“ endet mit einer Wort-Performance. Vier Tänzer*innen sprechen versetzt den Satz „Our ears are now in excellent condition“. Der Inhalt tritt hinter dem Rythmus zurück, eine Soundcollage entsteht. Die Differenz der Möglichkeiten der Sprache eröffnet ein neues, sinnliches Erfahrungsfeld.