Das Salzlager zum Leben erweckt
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Kritik
Das Salzlager zum Leben erweckt
Was bleibt im Gedächtnis? Was ist Geschichte? Was Mythos? Claudia Bosse verhandelt in „the last IDEAL PARADISE“ so manche Menschheitsfrage. Blogger Thomas Maly besuchte die Generalprobe und ließ sich in einer ungewöhnlichen Prozession durch den Abend führen.
Von Thomas Maly
Claudia Bosses Stück „the last IDEAL PARADISE“ durchläuft mehrere Zustände und bleibt stets multimedial. Es beginnt als Installation, geht dann in choreographierte Performances über, geht als situative Aktion auf und verabschiedet sich als Chorstück. Mit diesem Prozess begegnet das Publikum einem Komplex aus Arbeiten, die im Laufe der letzten fünf Jahre auseinander hervorgingen. Die Künstlerin setzt sich so erklärtermaßen mit den Themen Terrorismus, Territorium und Einverleibung, Projektionen und Konstellationen unseres kulturellen und politischen (Un-)Bewussten auseinander.
Das Salzlager bleibt dabei nicht bloß zufällige Spielstätte. Claudia Bosse nutzt die Bedingungen dieses Ortes, um ihr Stück zu strukturieren, wobei eine einzigartige Verbindung aus Materialität und choreographierter Gleichzeitigkeit entsteht.
Man betritt das Lager und sieht vor sich bereits eine Video-Installation, die Demonstrationsszenen zeigt. Zur Rechten steigt „The Palace of Projects“ von Ilya und Emilia Kabakov aus der Dunkelheit, wie ein zum Mythos erhobener Tempel. An ihm führt ein schmaler Gang entlang, der von einem Spießwald von kleinen Skulpturen gesäumt ist: ein aufgespießtes Fuchsfell, Röntgenaufnahmen, Gummihandschuhe oder Puppen. Schließlich gelangt man in die weite Lagerhalle, die ebenso vielschichtig genutzt wird. Das Gebäude weist selbst mit Beton, Backstein und Stahl eine interessante Oberflächenstruktur auf. Durch die partielle Ausleuchtung wirkt diese beinahe fleischig. Es klopft, röchelt, flackert, raucht und spricht aus den zahlreichen Winkeln, nach denen man sich umschauen möchte. An verschiedenen Stellen geschehen unterschiedliche Dinge gleichzeitig. Aber nichts erscheint unpassend. Diese seltsame Harmonie aus unvorhersehbaren und konfrontierenden Elementen gibt dem Raum den Anschein von einem organischen Körper.
Choreografie des Wandels
Die Choreografie erweckt diesen Raum schließlich zum Leben, denn auch die Übergänge zwischen den Zuständen des Stückes wirken auf beeindruckende Weise organisch. War man gerade noch in einer Lagerhalleninstallation, da öffnet sich an der anderen Seite der Halle ein Tor, ein Röcheln und Aushusten erklingt von dort, eine Nebelmaschine pustet durch die Torflügel und Performende ziehen mit verrenkenden Bewegungen ein.
Auch die Performenden wandeln sich im Verlauf der Aufführung stetig. Die einen tragen silberne Ganzkörperanzüge mit anonymisierenden Nylonmasken, andere tragen bunte Wollpullover und keine Masken. Sie nehmen die Masken ab oder ziehen Pullover an. Dann kommen sie zurück, tragen Skulptur-Spieße vor sich her und scheuchen das Publikum hinaus. Eine seltsame Prozession beginnt um das Gebäude herum in die Weite des Zollverein-Geländes, über das sich bereits die Dunkelheit gelegt hat. Zurück in der Lagerhalle, verhandeln die Performenden die Territorien mit dem Publikum neu, indem sie verschiedene Matten zwischen der Menge auslegen.
In keinem Moment fällt das Stück auseinander, was dem Publikum ermöglicht diesen Wandel mitzugehen und sich immer wieder neu in oder an der Performance zu situieren. Für mich entfaltet „The last IDEAL PARADISE“ einen
Prozess, der folgende Atmosphäre trägt, während ich nachzuvollziehen versuche, warum die Performance die politische Gegenwart und Geschichte mit Ritualen und Mythen verbindet: eine Atmosphäre wie eine Ahnung. Eine Ahnung, die geblieben ist, da man sich beim Tagtraum ertappte, um sich nicht mehr erinnern zu können, was man denn da gerade träumte. Es ist diese Ahnung, welche eine Gewissheit ist, dass man denn da träumte. Sie ist schon die letzte Gewissheit und bald nicht mehr Atmosphäre. Sie ist, so könnte man es sich denken, die Pforte hin zum Last Ideal Paradise.