Die Musik regiert
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Kritik
Die Musik regiert
Für „Kreatur“ hat Sasha Waltz mit der Designerin Iris van Herpen und den Komponisten des Soundwalk Collective zusammengearbeitet. Auf der Bühne des Aalto-Theaters hat Bloggerin Yana Lebedeva klassische Skulpturen gesehen und eine impulsgebende Musik gehört.
Von Yana Lebedeva
Verbinden und Abstoßen: Zunächst noch etwas ängstlich, danach kontinuierlich vertraulicher nähern sich die Figuren auf der Aalto-Theaterbühne in den ersten Szenen von Sasha Waltz’ „Kreatur“ einander an wie in Zeitlupe. Langsam und flüssig in einer minimalistischen Inszenierung.
Flüssigkeit schwirrt als Schlüsselbegriff in meinem Kopf. Die Flüssigkeit, die nicht nur durch die Körperbewegung, sondern durch einen Kontakt mit den Kostümen und Gegenständen entsteht. Die futuristischen Kostüme der niederländischen Modedesignerin Iris van Herpen, die mehr wie sphärische 3D-Designformen aussehen, sind in ihrer visuellen Wirkung und Größe so prägnant, dass der Körper einen Kontakt zu sich sucht. Zu sich und zu den anderen. Die Figuren fließen unter den Kostümen, befreien sich von ihnen. Sie wirken wie Phantasmagorien, wie Wesen aus einer Fantasiewelt. Die plastische Struktur einer Art großen Folie mit besonderem Reflexionseffekt führt im Kontakt mit dem Körper zu einer Transformation des Körperbildes. Die Körper verwickeln sich in diese Gegenstände, sie fusionieren. Es ist ein schöpferischer Prozess.
Die Körper ähneln skulpturalen, plastischen Formen, mal als einzelne Figuren, mal in einer Gruppenchoreografie. Der Bezug zur klassischen Skulptur ist klar erkennbar. Solche klassischen Skulpturen kennt man sonst aus dem Museumsraum oder aus Fotobänden über die klassische griechische Skulptur, über die antike Plastik. Diese Skulpturen durchdringen jeden Denkprozess. Körper und Gedanken fließen, immer weiter. Bis zu dem Moment, wenn die Form zerbrochen wird – durch tonlose Szenen, Lichteffekte auf der Leinwand, Abdunkelung, Reflektionen auf der Oberfläche der Bühne, Schreie, Stichworte auf Französisch, Befehle in verschiedenen Sprachen und Pop-Musik.
Moribund, nackt und hilflos
Das Geschehen auf der Bühne greift immer mehr zur griechische Tragödie, zu Mythen und Opferung, und berührt anthropologische Ebenen mit den Stammtänzen, mit biblischen Motiven. Die Körper bewegen sich konvulsiv, wehren sich gegeneinander und miteinander, drängen sich zusammen, gehen übereinander, untereinander, klettern hoch und herunter, wirken unmenschlich. Der Blick konzentriert sich auf das Geschehen, auf Details, auf choreographische Elemente, auf Gegenstände, auf die Auseinandersetzung mit den Gegenständen, auf ihre Wirkung, auf Handbewegungen, auf körperliche Interventionen, die bis zu Gewalt und Körpererniedrigung eskalieren. Man hört Publikumsreaktionen, wenn ein weiblicher Körper immer wieder auf den Boden fällt. Die Figuren versuchen, dieser Macht zu wiederstehen, sie sind aber moribund, nackt, hilflos. Die dunkle Fläche des Orchesterloches und die innere Architektur des Zuschauersaales verstärken eine Distanzierung vom Publikum. Die Figuren sind Geschöpfe einer Kraft, die für diese unerreichbar bleibt.
Diese Macht kommt aus der akustischen Ebene. Plötzliche elektrisierte Töne, Stimmen, Schreie, zeigen so nah an meinem Ohr ihre Kraft. Jeder Ton wird durch die Architektur der Kuppel des Aalto-Theaters spürbar gemacht. Ein schöpferischer oder ein eschatologischer Prozess? Die Musik vom Soundwalk Collective pulsiert, geht in das Urmenschliche, in den Trancezustand, in das Unterbewusstsein. Sie gibt die Impulse, sie regiert.