Zwischen Spitzenschuh und Arbeitsstiefeln
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Exkurs
Zwischen Spitzenschuh und Arbeitsstiefeln
Ein Blick auf „On Body“ von Richard Siegal und sein Ensemble Ballet of Difference: Drei Stücke, drei Konzepte, viel Rhythmus und der ein oder andere Unterschied. Blogger Thomas Maly besuchte eine Aufführung am Schauspiel Köln noch bevor Siegals „BoD“ und „Made for Walking“ bei der Tanzplattform im Gelsenkirchener Musiktheater im Revier zu sehen sein werden.
Von Thomas Maly
Drei Stücke, drei Konzepte, viel Rhythmus und der ein oder andere Unterschied. Mit „On Body“ führen Richard Siegal und sein internationales Ensemble Ballet of Difference die Arbeiten „BoD“, „Made for Walking“ und „UNITXT“ zusammen. Zugrunde liegt den Stücken die künstlerische Auseinandersetzung mit Rhythmus und die Verbindung von Ballett und zeitgenössischem Tanz. Die beiden Grundthemen finden Ausdruck in drei choreografischen Konzepten und zeigen weiter gefasste Bezüge innerhalb Siegals choreografischer Arbeit auf.
BoD: Tanz zwischen Formation und Auflösung
Die insgesamt zwölf Tänzerinnen und Tänzer des Ballet of Difference kommen aus Amerika, Asien, Australien und Europa. Das zuerst aufgeführte Stück „BoD“ greift deren unterschiedliche biografische Hintergründe und Stile auf. Es ist das erste Stück des neu zusammengefundenen Tanzensembles. An dieser Arbeit habe sich die Identität und das ästhetische Programm des Ballet of Difference entwickelt, wie Richard Siegal selbst erklärt.
Elegant gleiten die Tänzerinnen auf ihren Spitzenschuhen, die Tänzer meistern den Spagatsprung. Die Verbindung von Ballett und zeitgenössischem Tanz ist unterschwellig, aber nachvollziehbar. Grundbewegungen des klassischen Balletts sind stets sichtbar, während der choreografierte Ablauf des Stückes andere tänzerische Ausdrucksmöglichkeiten untersucht. Immer wieder fallen Einflüsse aus anderen Tanzstilen auf. Überraschend wendet sich dann eine Tänzerin mit einer Flamenco-Pose an die Zuschauer und ruft gewitzt: Hola!
Getanzt wird zu arabisch beeinflussten Clubbeats, komponiert von DJ Haram. Die Beats knallen in schnellen und wechselnden Rhythmen zum Teil basslastig in den Raum. Sie geben den Anlass zur Bildung und Auflösung der Tanzformationen. Die Kostüme entwarf die Modedesignerin Becca Charmeuren. Die Tänzerinnen und Tänzer tragen eng am Körper liegende graue Kleidung und fächerartige, aufblasbare Gebilde an der Hüfte oder den Schultern, welche zum Teil einen neongelben oder -grünen Farbkontrast bilden. Die bunten Gebilde erinnern einerseits an Schulterpanzer und Tutu, andererseits an Auswüchse von Insekten oder Eidechsen. Damit unterstreichen die Kostüme den Bezug des Ensembles zum Ballett, lassen aber andererseits auch Raum für Interpretationen und betonen so das Wechselspiel im Tanz selbst.
Die Choreografie setzt auf eine dezentrierte Bühnenbespielung. Von der linken und rechten Seite eilen Tänzerinnen und Tänzer in den durch weiße Pfosten abgesteckten Tanzbereich. Sie bilden in verschiedenen Bühnenbereichen kurzweilige Tanzformationen, um sie wieder aufzulösen, andere Formationen zu bilden oder hinter die weißen Pfosten zu schreiten. Wenn das Ensemble gleichzeitig verschiedene Bereiche der Bühne betanzt, erinnert das an Bewegungen von Mückenschwärmen an Seeufern.
Die Aufmerksamkeit zwischen Ensemble und Zuschauern erhalten nicht zuletzt die Beats. Sie geben den Anlass zur Bildung und Auflösung der Tanzformationen. Und dann wandert der Blick auch schon mal zu den weißen Pfosten und bleibt auf den Wartenden ruhen, um für einige Momente die mit dem Beat eilende Aufführung zu übersehen und einer gleichförmigen Betrachtung der zur fortwährenden Bildung von Tanzformationen anhaltenden Choreografie zu entgehen. Ähnliches zeigt das Tanzensemble: Wirken die Tänzerinnen und Tänzer für einen Moment erschöpft und schwerfällig, so nehmen sie, nach einer kurzen Pause an den weißen Pfosten, den nächsten Beat umso beschwingter.
Made for Walking: Tanz zwischen Stampfen und Klatschen
Polyrhythmische Strukturen inspirierten Richard Siegal zum zweiten Stück des Abends „Made for Walking“. Das musikalische Konzept entwickelte er in einer theoretischen Auseinandersetzung mit afrikanischen Rhythmuskulturen und in Zusammenarbeit mit dem Komponisten Lorenzo Bianchi Hoesch.
Drei große Leinwände stecken einen kleineren Bereich der Bühne ab. Die drei Tänzerinnen und ein Tänzer tragen beige Gewänder, schwarze Leggings und Stiefel, an denen Mikros befestigt sind. Stampfend, zischend, in die Hände und an den Körper klatschend bringen sie zugleich Klänge hervor. Ihre Bewegungen erinnern in einem Moment an afrikanische Trommeltänze und im nächsten Moment lässt ein Beinschwung oder Armflattern die Zuschauer auch das Ballett nicht vergessen.
Mal bewegen sich die Tänzerinnen und der Tänzer synchron, dann folgen sie wieder verschiedenen Rhythmen. Sie bringen auf diese Weise sich abwechselnde rhythmische Strukturen hervor. Die Zuschauer nehmen sie als musikalische Sequenzen wahr. Das Tanzquartett bewegt sich dabei zum Hervorbringen der Musik tänzerisch und weniger, um auf die hervorgebrachten musikalischen Sequenzen zu tanzen.
Siegal selbst greift zwischenzeitig zu einem Mikrofon und stöhnt den Tänzerinnen und Tänzern leise einige Anweisungen zu. Dabei handelt es sich um ein Ausprobieren einer weiteren rhythmisierende Komponente, wie Siegal in einer anschließenden Gesprächsrunde erklärte. Das wird hier erwähnt, um den sich erprobenden Charakter des Ensembles zu verdeutlichen.
UNITXT: Tanz zwischen Licht und Dunkelheit.
Zum dritten Stück stehen drei bühnenbreite Leinwände bereit. An diesen hängen Leuchten und bestrahlen die Leinwände neben der üblichen Bühnenbeleuchtung. Das gesamte Tanzensemble aus zwölf Personen tanzt zu der Technomusik von Alva Noto. Dröhnende Discobeats vibrieren sowohl auf der Bühne als auch unter den Zuschauern.
An die hintere Leinwand strahlt ein Projektor große, schwarzweiße Schriftzüge. Begriffe wie „SILENCE“ oder „NOISE“ deuten auf Anwesendes und Abwesendes hin. Die Tänzerinnen und Tänzer tragen dunkle, enge Kleidung. Verdunkelt sich die Bühne, betrachten die Zuschauer abwechselnd die Körper der Tanzenden und ihre Silhouetten im Dämmerlicht. Treten die Tanzenden in den Schein des Projektors, sinken ihre Silhouetten unter die Buchstaben an der hinteren Leinwand – da stellt sich die Frage, inwiefern sie nun anwesend oder abwesend sind.
Auch in diesem Stück findet Siegal eine Verbindung von Ballett und zeitgenössischem Tanz. Er orientiert sich beispielsweise am Hip-Hop: So stehen die Tanzenden momentweise in parallelen Reihen hintereinander und treten von einem Bein aufs andere, während sie zum Beat mit dem Kopf nicken. Während in „BoD“ die Bewegungen der Tänzerinnen und Tänzer überwiegend den Impulsen der Musik folgten, weist der Tanz im dritten Stück als ungebrochene Choreografie eine eigenständigere Impulsivität auf und deutet so das dritte rhythmische Konzept des Abends.